Gesetzliche Grundlagen

Häufig brauchen Studierende mit Beeinträchtigungen, Neurodiversität, chronischen oder psychischen Erkrankungen angemessene Vorkehrungen, um damit beeinträchtigungsbezogene Benachteiligungen und Studienerschwernisse in Studium und Prüfungen oder im Bereich der Finanzierung auszugleichen. Dieser Anspruch auf angemessene Teilhabe und Nicht-Diskriminierung von Studierenden ist vielfach rechtlich verankert. Stets knüpft er an den Nachweis einer Behinderung an. Deswegen ist es wichtig zu wissen: Was bedeutet es, wenn wir von Behinderung sprechen?

Behinderungsbegriff

Rechtsansprüche auf chancengerechte Teilhabe und Nicht-Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen, Neurodiversität, chronischen und psychischen Erkrankungen knüpfen an den Nachweis einer Behinderung an. Es ist es wichtig zu wissen, wie dieser Begriff rechtlich gefasst ist, um benennen zu können,

  • wer zu der Gruppe der Menschen mit Behinderungen gehört
  • wie Behinderungen der Teilhabe und Benachteiligungen im gesellschaftlichen Kontext - z.B. im Bereich Hochschule - entstehen
  • wer zum Abbau von Barrieren und zur Gestaltung angemessener Vorkehrungen zum Nachteilsausgleich im Hochschulkontext verpflichtet ist und
  • wann und in welchem Umfang sozialrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit Behinderungen entstehen.

Moderner Behinderungsbegriff: Impulse der UN-Behindertenrechtskonvention wurden in deutsches Recht umgesetzt

Die UN-BRK hat den entscheidenden Impuls für die rechtliche Verankerung eines neuen Verständnisses von Behinderung geprägt, das die Wechselwirkungen von Beeinträchtigung und Barrieren in Umwelt und persönlichen Einstellungen ins Zentrum stellt: “Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Maßgeblich für den Hochschulkontext sind die entsprechenden Regelungen in den Behindertengleichstellungsgesetzen der Länder bzw. des Bundes und für den Bereich der sozialrechtlichen Ansprüche die Definition im SGB IX § 2 Abs. 1.

Kernbotschaften sind:

  • Alle länger andauernden und chronischen, auch schubweise auftretenden, Beeinträchtigungen und Erkrankungen können Auslöser von Behinderungen sein, sofern sie mit einer Teilhabeeinschränkung im sozialen/ gesellschaftlichen Leben – also z.B. im Studium – einhergehen.
  • Eine Behinderung stellt keine persönliche Eigenschaft eines Menschen dar, sondern entsteht durch die Wechselwirkungen zwischen individuellen Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.  

Bedeutungswandel erkennen und umsetzen

Alltags- und Rechtsverständnis klaffen allerdings noch immer weit auseinander, was den Prozess der Nachteilsausgleichsgestaltung und den Abbau von Barrieren im Hochschulkontext sowie die Verwirklichung sozialrechtlicher Ansprüche erschwert. Das Verständnis für den Bedeutungswandel und die konsequente Anwendung des Behinderungsbegriffs gemäß der Behindertengleichstellungsgesetze von Bund und Ländern (Hochschulkontext) bzw. gemäß SGB IX § 2 Abs. 1 (Sozialrecht) sollten in der Praxis zur Grundlage für Entscheidungen über den Abbau von Barrieren und angemessene Vorkehrungen zum Nachteilsausgleich werden.

  • "Behinderung" in der UN-Behindertenrechtskonvention

    Die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde, hat den Behinderungsbegriff weiterentwickelt und stellt gemäß dem Leitmotiv „Wir sind nicht behindert, sondern werden behindert“ die gesellschaftlichen Barrieren stärker in den Fokus:

    Artikel 1 und Präambel der UN-BRK
    Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen (gemeint sind: einstellungs- und umweltbedingte) Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

  • "Behinderung" im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes

    § 3 Menschen mit Behinderungen
    Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.

    Bundesbehindertengleichstellungsgesetz

  • "Behinderung" in den Behindertengleichstellungsgesetzen der Länder

    Die Behindertengleichstellungsgesetze der Länder orientieren sich ganz überwiegend an der Definition von Behinderung der UN-Behindertenrechtskonvention bzw. des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes.

  • "Behinderung" im Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX)

    § 2 Absatz 1 SGB IX
    Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

    § 2 Absatz 2 SGB IX
    Menschen sind im Sinne des Teils 3 (des SGB IX) schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

    Sozialgesetzbuch 9. Buch

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Die UN-BRK konkretisiert die Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter Menschen mit dem Ziel, ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe bzw. Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Wichtige Stichworte sind: Barrierefreiheit, Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung. Inklusive Bildung ist das Thema des Artikels 24.

  • Artikel 24 Abs. 5 UN-BRK
    „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.“

Am Deutschen Institut für Menschenrechte ist die Monitoring-Stelle angesiedelt, die die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland begleitet. Der Bund und eine Reihe von Ländern haben mittlerweile Aktionspläne zur Umsetzung der UN-BRK entwickelt, in die auch der Hochschulbereich einbezogen ist.

Behindertengleichstellungsgesetze von Bund und Ländern

Die Behindertengleichstellungsgesetze (BGG) von Bund und Ländern sind von großer Bedeutung für die Umsetzung der UN-BRK. Sie ergänzen die Bestimmungen zum Benachteiligungsverbot aus dem Artikel 3 des Grundgesetzes.

Die Behindertengleichstellungsgesetze in den Bundesländern lehnen sich im Allgemeinen an die Bestimmungen des Bundesgleichstellungsgesetzes an und ergänzen es. Für Hochschulen im Geltungsbereich der Landeshochschulgesetze sind die Behindertengleichstellungsgesetze der Länder wichtiger Bezugspunkt, insbesondere in Bezug auf die Vorgaben zur Barrierefreiheit in Bau, Kommunikation und Verkehr und mit Blick auf die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen. Öffentliche Stellen werden nicht nur zum Abbau von Barrieren verpflichtet, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch dazu, einzelfallbezogen alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu treffen, um die gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen und bestehende Barrieren auszugleichen.

Grundgesetz (GG)

Ein Recht auf Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten ergibt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.

  • Artikel 3 Abs. 1 und 3 Satz 2 Grundgesetz (GG)
    (1) „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
    (3) „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
  • Artikel 20 GG
    „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Hochschulrahmengesetz (HRG)

Das Hochschulrahmengesetz verpflichtet staatliche und staatlich anerkannte Hochschulen dazu, für eine chancengleiche Teilhabe von Studierenden mit Behinderungen zu sorgen. Der Anspruch auf modifizierte Studien- und Prüfungsbedingungen ist ebenfalls ausdrücklich verankert.

  • § 2 Abs. 4 Satz 2 HRG
    „Sie* tragen dafür Sorge, dass behinderte Studierende in ihrem Studium nicht benachteiligt werden und die Angebote der Hochschule möglichst ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen können.“ (* gemeint sind die Hochschulen)
  • § 16 Satz 4 HRG
    „Prüfungsordnungen müssen die besonderen Belange behinderter Studierender zur Wahrung ihrer Chancengleichheit berücksichtigen.“

Landeshochschulgesetze

Die Regelungen des Hochschulrahmengesetzes zur Berücksichtigung der Belange behinderter und chronisch kranker Studierender wurden – oft formulierungsgleich – in die Hochschulgesetze der Länder übernommen. In manchen Ländern wurden die Teilhaberechte und der Diskriminierungsschutz im Sinne behinderter und chronisch kranker Studierender erweitert und präzisiert. Außerdem beinhalten die Landeshochschulgesetze ggf. Regelungen zur Befreiung oder Reduzierung von so genannten „Langzeitstudiengebühren“.

Approbationsordnungen für Ärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychotherapeut:innen

In den Approbationsordnungen sind seit 2021 ausführliche Regelungen zum Nachteilsausgleich enthalten.

Empfehlungen

HRK-Empfehlung „Eine Hochschule für Alle“ (21.4.2009)

Mit der Empfehlung „Eine Hochschule für Alle“ haben sich die Hochschulen auf der Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz am 21. April 2009 zu ihren Verpflichtungen bekannt.

„Eine Hochschule für Alle – Handlungsstrategien der Studentenwerke zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der HRK-Empfehlung“, Beschluss des Deutschen Studentenwerks (Dez. 2010). Mit dem Beschluss haben sich die Studentenwerke auf ihrer Mitgliederversammlung 2010 zu ihren Verpflichtungen bekannt.

Studieren in Zahlen und Fakten

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