05.03.2024

„Beratung im Wandel: Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für die Arbeit der Studierendenwerke aus Sicht des Deutschen Studierendenwerks"

Keynote von Prof. Dr. Beate Schücking, Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks anlässlich der Fachtagung Beratung und Soziale Dienste am 5. März 2024 in Berlin.

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Sehr geehrte Mitarbeitende der Studierendenwerke,

sehr geehrte Damen und Herren,

wie bereits gehört, liegen drei Jahre seit der letzten Fachtagung Beratung hinter uns. Umso erfreulicher ist es, dass wir uns nach dieser langen Phase endlich wieder persönlich treffen können. Die hohe Anzahl der Anmeldungen für diese Veranstaltung unterstreicht den Bedarf an fachlicher Weiterbildung und kollegialem Austausch.

Ich möchte zu Beginn betonen: Die Beratungsstellen der Studierendenwerke, sei es in Form der 45 psychologischen Beratungsstellen oder der 49 Sozialberatungsstellen, nehmen eine herausragende Rolle in der Betreuung der Studierendenschaft ein. Ihre Angebote tragen wesentlich zur Förderung der Chancengleichheit bei und bilden eine grundlegende Säule der sozialen Infrastruktur für Studierende.

Gerade in den herausfordernden Zeiten von 2021/2022 während der Corona-Pandemie haben Sie unter äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen Studierende beraten. Dank ihres persönlichen Engagements haben Sie sich auf diese für uns alle herausfordernde Situation eingestellt, ihre Beratungsangebote in kürzester Zeit modifiziert und durch ihr tatkräftiges Handeln dazu beigetragen, dass Studierende besser durch diese Krise kamen. Ein herzliches Dankeschön geht daher an Sie alle für die hervorragende und bedeutende Arbeit, die Sie vor Ort geleistet haben und angesichts anhaltender Krisen weiterhin leisten. Ihre Arbeit ist alles andere als Tagesgeschäft!

Meine Damen und Herren, ich komme zum eigentlichen Thema meines Vortrags:

 

Beratung im Wandel: Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für die Arbeit der Studierendenwerke aus der Perspektive des Deutschen Studierendenwerks

Traditionell wurde die Studienzeit oft als eine Phase der Freiheit und Selbstfindung betrachtet. In den Vorstellungen vieler Menschen war sie bislang mit positiven Assoziationen verbunden, mit spannenden akademischen Herausforderungen, tiefen Freundschaften, persönlichem Wachstum.

Doch in der heutigen Zeit, die von multiplen Krisen, unsicheren Zukunftsaussichten und starker psychischer Belastungen geprägt ist, hat sich die Wahrnehmung der Studienzeit drastisch verändert- zumindest bei einem nicht unerheblichen Teil der Studierenden.

Das einstige Bild der Studienzeit als lebensfrohe und inspirierende Phase ist einem neuen Narrativ gewichen: dem Studieren im Krisenmodus.

In meinem Vortrag möchte ich mich mit diesem Wandel auseinandersetzen und beleuchten, was dies für Sie in ihrer konkreten Arbeit bedeutet.

Die aktuellen multiplen Krisen, sei es der Terrorangriff auf Israel, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Inflation oder die Auswirkungen des Klimawandels, stellen eine immense Belastung dar für Studierende.

In Kombination mit den Nachwirkungen der Pandemie, insbesondere den vier Pandemie-Semestern mit sozialer Isolation, digitaler Überlastung und Unterbrechungen im Studium wird deutlich: Die Herausforderungen für Studierende haben drastisch zugenommen.

Die Auswirkungen dieser multiplen Krisen auf das emotionale Gleichgewicht der Studierenden sind enorm, insbesondere für junge Menschen, die sich mit dem Studium in einer potenziell unsicheren Lebensphase befinden.

Die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke müssen feststellen: Die psychischen Belastungen der Studierenden haben qualitativ eine neue Dimension erreicht.

Sie sind gravierender, existenzieller geworden: Während früher vorwiegend studienspezifische Anliegen wie Prokrastination, Stressbewältigung oder Arbeitsorganisation im Fokus der psychologischen Beratungen standen, sind heute der Umgang mit Angststörungen und depressiven Verstimmungen die vorherrschenden Symptomatiken in der psychologischen Beratung.

Festmachen möchte ich diese Entwicklung anhand von neuen Studien, die sich unter anderem mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Studierende befassen.

Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie berichteten Studierende von einem erheblichen Stress-Erleben. Konkurrenz- und Leistungsdruck, Arbeitsüberlastung sowie Ängste um die berufliche Zukunft wurden als Hauptauslöser genannt.

Während der Corona-Pandemie zeigte sich ein weiterer Anstieg des Stressempfindens bei den Studierenden. Dies spiegelt sich wider in den Ergebnissen der 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden sowie in der vierten Sächsischen Studierendenbefragung.

Stressauslösende Faktoren sind: erhöhter Arbeitsaufwand, Wissens- und Kompetenzrückstände, Unzufriedenheit mit dem Studium, insbesondere der Mangel an Austausch mit Kommiliton*innen und Lehrenden, gesteigerte Eigenverantwortung und Selbstorganisation, sowie der Verlust oder die Stundenreduzierung von Nebenjobs.

Neben dem Anstieg des Stressempfindens verstärkte die Corona-Pandemie nachweislich auch die Symptome von Depressionen und Ängsten.

Laut einer Studie der Universitätsklinik Leipzig im Frühjahr 2022, bei der fast 5.500 Studierende in Sachsen online befragt wurden, gaben fast zwei Drittel der Studierenden klinisch relevante Krankheitszeichen an, darunter Depressionssymptome (35,5 Prozent) und Angststörungen (31,1 Prozent).

Fast ein Fünftel berichtete über Suizidgedanken, wobei die Häufigkeit im Vergleich zu den Vorjahren deutlich angestiegen war. Wissenschaftler*innen führen dies auf vermehrte Einsamkeit und soziale Isolation während der Pandemie zurück.

Die Ergebnisse der 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden, erhoben im Jahr 2021, bestätigen diese alarmierende Entwicklung.

Knapp 24 Prozent der Studierenden in Deutschland gaben an, gesundheitlich beeinträchtigt zu sein. Bezogen auf alle Studierenden berichten knapp 16 Prozent von mindestens einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die sich erschwerend auf ihr Studium auswirkt.

Mit großem Abstand am weitesten verbreitet sind psychische Erkrankungen, die von 65 Prozent der Studierenden mit studienerschwerender Beeinträchtigung angeben wurden. Ihr Anteil ist damit von 2016 bis 2021 um 11 Prozent angewachsen!

Der Gesundheitsreport der Techniker-Krankenkasse 2023 ergibt zudem, dass der Anteil der Studierenden, die Antidepressiva verordnet bekamen, von 2019 auf 2022 um 30 Prozent gestiegen ist. Damit erhielten Studierende deutlich häufiger Antidepressiva als gleichaltrige Erwerbspersonen.

Diese Mental-Health-Zahlen sind für mich großer Anlass zur Sorge.

Laut 22. Sozialerhebung schätzen Studierende ihren Gesundheitszustand insgesamt schlechter ein als in den Vorjahren.

Während im Jahr 2016 noch 85 Prozent ihren Gesundheitszustand als gut bewerteten, traf dies 2021 nur auf 72 Prozent zu. Diese Verschlechterung spiegelt sich auch in den Gründen für Studienunterbrechungen wider, wobei gesundheitliche Probleme mit 31 Prozent am häufigsten genannt wurden, gefolgt von Schwierigkeiten mit der Onlinelehre (29 Prozent) und Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Studiums (26 Prozent).

Es wundert auch nicht, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die darauffolgende Umstellung auf Onlinelehre verstärkt ungesundes Verhalten unter Studierenden hervorrief.

Der Mangel an Bewegung im Alltag wurde besonders deutlich, da nicht nur die Sportangebote an den Hochschulen wegfielen, sondern auch die bislang üblichen Wege zu Hörsälen, Mensen oder Bibliotheken entfielen.

Laut des TK Gesundheitsreports 2023 gaben 61 Prozent der Studierenden an, sich aufgrund der Onlinelehre im Alltag weniger bewegt zu haben. Die körperliche Aktivität, die nicht nur der Prävention von Krankheiten, sondern auch der Förderung der mentalen Gesundheit dient, war somit eingeschränkt.

Obwohl die Corona-Pandemie Ende April 2023 offiziell für beendet erklärt wurde, manifestieren sich die Auswirkungen dieser dreijährigen Ausnahmesituation weiterhin. Insbesondere die negativen Einflüsse auf die psychische Gesundheit der Studierenden bleiben präsent und haben sich nicht automatisch mit dem Ende der Pandemie aufgelöst.

Die psychischen Belastungen, die während der Pandemiezeit entstanden sind, hinterlassen weiterhin ihre Spuren.

Verhaltensweisen, die unter den Bedingungen des Online-Studiums entstanden sind, enden nicht automatisch mit dem offiziell verkündeten Ende der Pandemie.

Einige Studierende haben die Rückkehr in den normalen Studienalltag nicht geschafft. Oft ist die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, sowohl im Studium als auch bei der Erwerbsfähigkeit.

Dies wird nicht nur durch die aktuelle Forschungslage belegt, sondern findet auch Ausdruck in den zahlreichen Rückmeldungen und Erfahrungen der Beraterinnen und Berater der Psychologischen Beratungsstelle der Studierendenwerke.

 

Was heißt das nun für die für Beratungsstellen- insbesondere die psychologischen Beratungsstellen? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen?

Die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke wurden im Zuge der Corona Krise förmlich überrannt.

Festmachen lässt sich dies gut an den Wartezeiten auf einen Erstgesprächstermin in den Psychologischen Beratungsstellen.

Lassen Sie mich hier beispielhaft auf das Studentenwerk Schleswig-Holstein verweisen: Hier lagen die Wartezeiten 2019 zu Spitzenzeiten bei etwa sechs Wochen, 2020 bei zehn und 2021 bei über 14 Wochen.

Die Studierendenwerke versuchten der hohen Bedarfsnachfrage und den relativ langen Wartezeiten dahingehend zu begegnen, dass u.a. digitale Formate und Gruppenangebote ausgeweitet wurden.

Dennoch sahen sich die Studierendenwerke aufgrund gravierender personeller Engpässe gezwungen, teils drastische Maßnahmen wie die Verhängung von Aufnahmestopps bzw. die Schließung der Wartelisten zu ergreifen. Das war sowohl für die Studierenden als auch für die Berater*innen eine sehr unbefriedigende Situation.

Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklungen legten 2021/22 einige Bundesländer – genannt seien hier Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Sachsen und Schleswig-Holstein –  Sonderprogramme auf zum Ausbau des Corona-bedingten personellen Mehrbedarfs der psychologischen Beratungsstellen.

Die Erweiterung der personellen Kapazitäten bei den psychologischen Beratungsstellen zeigte durchaus positive Effekte: So reduzierten sich die Wartezeiten – um beim Beispiel des STW Schleswig-Holstein zu bleiben – auf eine Erstgespräch im Jahr 2022 erfreulicherweise auf ein bis drei Wochen. Auch konnten deutlich mehr Studierende mit einem Beratungstermin versorgt werden. Entsprechende Rückmeldungen liegen uns auch von anderen Studierendenwerken vor.

Dem föderalen System der Bundesrepublik Deutschland geschuldet, wurden Sondermittel nicht in allen Bundesländern zur Verfügung gestellt. Oder es wurden – wie im Falle von Hessen – Programme aufgelegt, bei denen nur die Hochschulen, nicht aber die Beratungsstellen der Studierendenwerke, förderberechtigt waren. Umso wichtiger ist ein guter, enger und vertrauensvoller Umgang von Hochschulen und Studierendenwerken miteinander.

Die Sondermittel der Länder zum Ausbau der psychologischen Beratungsstellen standen leider nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung, d.h. in der Regel bis Ende 2022 bzw. Ende 2023.

Wie es nach Ablauf der Förderung aussieht, ist vielerorts noch unklar. Eine dauerhafte Entspannung in den Beratungsstellen ist daher – solange es keine Verstetigung der Mittel gibt – nicht zu erwarten. 

Wie wichtig eine Verstetigung der Förderung und ein Ausbau der personellen Kapazitäten in den psychologischen Beratungsstellen ist, zeigt sich darin, dass auch nach dem offiziellen Ende der Pandemie eine deutlich gestiegene Nachfrage zu verzeichnen ist.

Die aktuelle weltpolitische Lage belastet Studierende zunehmend und führt zu wachsender Verunsicherung, die wiederum einen Nährboden für psychische Symptome bilden kann.

Die anhaltende mediale Überflutung zu diesen vielfältigen Dauerkrisen verstärkt zusätzlich die Wahrnehmung einer bedrohlichen Gesamtentwicklung bei den Studierenden.

Daher bleibt der Bedarf nach psychologischer Beratung aufgrund der anhaltenden multiplen Krisensituationen weiterhin auf Rekordhöhe.

Dieser Trend wird sich vermutlich auch über einen längeren Zeitraum fortsetzen: Schauen wir uns hier beispielhaft die Auswertungen des ersten Halbjahres 2023 des Studentenwerks Schleswig-Holstein an.

Die Nachfrage hat sich mit 2.230 Beratungskontakten im Vergleich zum Zeitraum im Vorjahr (1.367 Kontakte) bereits um rund 63 Prozent erhöht. Vergleichbare Rückmeldungen haben wir auch von anderen Studierendenwerken erhalten. Mancherorts ist man sogar wieder dazu übergegangen, Aufnahmestopps zu verhängen.

Ein zunehmendes Grundproblem, dem sich die Berater*innen der Studierendenwerke gegenübersehen, besteht darin, dass immer mehr Ratsuchende mit psychischen Erkrankungen und komplexen Bedürfnissen Beratung in Anspruch nehmen.

Dabei ist zu beachten, dass die Psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke grundsätzlich eine Brückenfunktion haben. Die Berater*innen führen eine begrenzte Anzahl an Beratungsgesprächen durch (je nach Standort maximal 10 Gespräche), können jedoch keine Psychotherapie ersetzen, da ihnen hierzu gesetzlich die Berechtigung fehlt.

Wenn die festgelegten Gespräche nicht ausreichen, ist eine Vermittlung ins psychotherapeutische Krankenkassensystem oder eine stationäre Aufnahme erforderlich.

Realität ist aber, dass mehr und mehr Studierende, bei denen eigentlich eine wöchentliche Psychotherapie angebracht wäre, längerfristig von den Psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke begleitet werden müssen, da sie zeitnah keinen regulären Psychotherapieplatz finden.

Ein Beispiel liefert das Studentenwerk Schleswig-Holstein, das berichtet, dass 30 Prozent der Studierenden, die im Jahr 2022 die psychologische Einzelberatung des Studierendenwerks in Anspruch genommen haben, im Anschluss an die Beratung auf der Suche nach einem Therapieplatz waren.

Wegen der anhaltend langen Wartezeiten, oft sechs Monate und mehr, muss das Studentenwerk Schleswig-Holstein die Studierenden weiterhin unterstützen, um die Wartezeiten zu überbrücken und einer Verschlechterung oder Chronifizierung von Symptomen entgegenzuwirken.

Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Hochschulen stehen vor einer deutlichen Mental-Health-Krise der Studierenden.

Wenn wir den Campus der Zukunft zu einem sozialen, lebendigen und attraktiven Ort machen wollen, müssen wir uns dieser Mental-Health-Krise stellen – und sie angehen.

Wir haben uns nun eingehend mit der aktuellen Lage der psychologischen Beratungsstellen befasst. Die anhaltenden multiplen Krisen haben jedoch nicht nur bei den Kolleg*innen aus den psychologischen Beratungsstellen, sondern auch in ähnlicher Weise bei den Sozialberater*innen der Studierendenwerke ihren Tribut gefordert und fordern ihn weiterhin. Im Folgenden möchte ich einige Themen ansprechen, die derzeit in den Sozialberatungsstellen von besonderer Relevanz sind und uns auch zukünftig weiter beschäftigen werden.

Aus der 22. Sozialerhebung wissen wir, dass sich 33% des Informations- und Beratungsbedarfes auf Finanzierungsfragen der Studierenden beziehen. Warum das so ist, erklärt sich ebenfalls aus der Sozialerhebung. So wird hier sehr deutlich, dass gerade bei der Studienfinanzierung eine starke soziale Polarisierung besteht. Gewiss, ein Viertel aller Studierenden hat mehr als 1.300 Euro im Monat zur Verfügung; dieses Viertel gilt sicher nicht als armutsgefährdet. Hier schlagen die Fern-Studierenden und die berufsbegleitend Studierenden zu Buche, die eben in aller Regel finanziell weit besser ausgestattet sind.

Am anderen Ende des Spektrums aber sehen wir:

37 % der Studierenden verfügen im Monat über weniger als 800 Euro – das sind nochmal 60 Euro weniger, als die  Düsseldorfer Tabelle zum Erhebungszeitpunkt im Sommer 2021 für den Elternunterhalt für auswärts wohnende Studierende vorgab.

Diese Gruppe ist mit eben 37 % weiter größer als die Gruppe der Normalstudierenden“, die BAföG erhalten; das sind 13%.

Das meine ich mit Polarisierung: Wir haben einerseits die 25% finanziell sehr gut Alimentierten – und andererseits ein Drittel der Studierenden, deren finanzielle Situation prekär zu nennen ist.

Lassen Sie mich in diesem Kontext auf einen weiteren Befund aus der Sozialerhebung verweisen, nämlich die studentische Erwerbstätigkeit: Knapp 67 Prozent der Studierenden aus nicht-aka­demischem Elternhaus und rund 60 Prozent der Studierenden aus akademischem Elternhaus arbeiten neben dem Studium. Bei Studierenden aus nicht-aka­demischem Elternhaus geht es dabei häufiger um die Finanzierung des Lebensunterhalts (68,3 vs. 50,1 Pro­zent bei Studierenden aus akademischem Elternhaus). In diesem Zusammenhang sei auch drauf verwiesen, dass die Vereinbarkeit von Studium und Beruf mit 33% zu den TOP-Beratungsthemen gehört.  

Und diese Studierenden suchen verstärkt die Sozialberatungsstellen auf und suchen Ihren Rat! Qualifizierte Unterstützung können Sie aber nur dann geben, wenn auch die staatlichen Rahmenbedingungen stimmen.

Unsere Forderung an die Bundesregierung bleibt daher unverändert: Wir als DSW setzen uns weiterhin nachdrücklich dafür ein, dass eine umfassende BAföG -Reform umgesetzt wird. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die für das Wintersemester 2024/2025 versprochene Strukturreform des BAföG tatsächlich durchgeführt wird und eine automatische Anpassung an die Entwicklungen von Preisen und Einkommen erfolgt.

Es ist bedauerlich, dass trotz mehrerer Erhöhungen bei staatlichen Leistungen zu Jahresbeginn das BAföG vorerst bei 452 Euro im Monat stagniert – ein Betrag, der um 111 Euro niedriger ist als das Bürgergeld. Studierende sind jedoch keinesfalls Bürger*innen zweiter Klasse; ihre Bedürfnisse in Bezug auf Essen, Trinken, und Heizen sind nicht geringer als die anderer Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten. Der chronisch zu niedrige Grundbedarf des BAföG wird dieser Realität nicht gerecht.

Die aktuelle Wohnkostenpauschale von 360 Euro im Monat ermöglicht es kaum, sich in deutschen Hochschulstädten ein WG-Zimmer zu leisten. Angesichts der geplanten Erhöhung des CO2-Preises im Jahr 2024 gemäß den Ampel-Plänen werden die Kosten für Strom, Tanken und Heizen steigen, was auch Studierende spüren werden. Es ist unerlässlich, dass das BAföG endlich einen Automatismus erhält, der eine regelmäßige und kontinuierliche Anpassung an die Entwicklungen von Preisen und Einkommen sicherstellt. Andernfalls wird es nicht ausreichen, den Bedarf für Lebensunterhalt und Ausbildung der Studierenden zu decken.

Die aktuellen Herausforderungen für Studierende im Krisenmodus erfordern eine umfassende Neubewertung der Unterstützungsstrukturen.

Es gilt, die psychologischen und sozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke zu stärken, Netzwerke zu schaffen oder weiter auszubauen und neue Wege zu finden, um zeitnah auf die Bedürfnisse der Studierenden einzugehen.

Ich appelliere an Bund und Länder, langfristige finanzielle Ressourcen für die Psychologischen und Sozialen Beratungsstellen Studierendenwerken bereitzustellen. Dies haben alle Studierendenwerke auf ihrer jüngsten Mitgliederversammlung noch einmal bekräftigt. Konkret fordern wir zehn Millionen Euro Bund-Länder-Mittel über die kommenden vier Jahre.

Dies ist entscheidend, um die personellen Kapazitäten der Beratungsstellen der Studierendenwerke dauerhaft zu erweitern oder zumindest auf dem Niveau zu halten, das durch die vorübergehenden Sonderförderungen einiger Bundesländer ermöglicht wurde.

Nur durch zusätzliche Förderung bzw. Verstetigung von Förderung können angemessene Wartezeiten gewährleistet und den Studierenden zeitnahe Unterstützungsangebote gemacht werden. Im Einklang mit unserem Leitmotiv „damit Studieren gelingt“ – auch und besonders in Zeiten von Krisen!

Ich danke Ihnen allen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich mit Ihnen auf eine spannende Tagung und einen regen Austausch.