Eingliederungshilfen zum Besuch einer Hochschule nicht nur fürs Erststudium

Auch beeinträchtigte Studierende mit abgeschlossener Berufsausbildung können Leistungen zur Eingliederungshilfe für den Besuch einer Hochschule beanspruchen.

Studium als erste Ausbildung: Anspruch auf Förderung

Studierende können für einen ersten grundständigen Studiengang, der i.d.R. mit einem Bachelor oder erstem Staatsexamen abschließt, Hochschulhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe beanspruchen, soweit alle sozialrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und bislang keine abgeschlossene Berufsausbildung vorliegt.

Studium nach abgeschlossener Berufsausbildung: Anspruch bei zeitlichem und inhaltlichem Zusammenhang

Ein grundständiges Studium nach abgeschlossener Berufsausbildung kann durch Eingliederungshilfe gefördert werden, wenn der Studiengang inhaltlich und zeitlich an die berufliche duale oder schulische Erstausbildung anschließt. In diesem Fall gilt der Bachelor- bzw. der Staatsexamens-Studiengang - anders als im Unterhalts- oder Förderrecht bzw. im akademischen Kontext - im Sinne des SGB IX als "hochschulische berufliche Weiterbildung". Damit ist ein erster Schritt getan, um ergänzende hochschulische Qualifizierungsmaßnahmen im Sinne des lebenslangen Lernens für Menschen mit behinderungsbedingtem Unterstützungsbedarf zu fördern, auch wenn ihre Teilhabe an akademischer Aus- und Weiterbildung durch die restriktiven Voraussetzungen noch immer eingeschränkt bleibt. Vom engen zeitlichen Zusammenhang kann abgesehen werden, wenn dafür behinderungsbedingte oder andere wichtige Gründe glaubhaft gemacht werden können.

> Beschluss des Landessozialgerichts NRW vom 13.8.2010
Der viel beachtete Beschluss des Landessozialgerichts NRW vom 13.8.2010 (Aktenzeichen L 20 SO 289/10 B ER) mag zur gesetzlichen Änderung beigetragen haben. Es bestätigte die Rechtsauffassung der ersten Instanz und urteilte zugunsten einer gehörlosen Studentin, die nach einer Ausbildung zur Mediengestalterin und mehrjähriger beruflicher Praxis ein Studium der Druck- und Medientechnologie anstrebte und hierfür einen Antrag auf Eingliederungshilfe zum Besuch der Hochschule stellte. Das Gericht bewertete die „Angemessenheit eines Berufs“ - wichtiger Bezugspunkt für die Gewährung von Eingliederungshilfen zum Studium nach abgeschlossener Berufsausbildung bis Ende 2019 - nicht vorrangig danach, ob es möglich sei, mit dem bisher erlernten Beruf trotz Behinderung ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Es stellte stattdessen das Recht auf gleiche Chancen in Bezug auf Weiterqualifikation und Berufswahl in den Mittelpunkt. Entscheidend sei der Vergleich mit einem Menschen ohne Behinderungen der in einer ansonsten gleichen Lebenslage die gleiche auf den Erstberuf aufbauende, weiterführende Berufsausbildung durchführen könne. Das Landessozialgericht wies damit die Beschwerde des überörtlichen Sozialhilfeträgers (Beklagter) mit der Begründung zurück, „die Eingliederungshilfe zur Durchführung des Hochschulstudiums zu verwehren, missachte das Benachteiligungsverbot des Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz. Die vom Beklagten gewählte Lesart des Begriffes der „Angemessenheit“ in § 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 12 SGB XII stehe im Widerspruch zu dieser grundrechtlichen Gewährleistung (…). Der Sozialhilfeträger musste die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher*innen und Mitschreibkräfte endgültig übernehmen.
Weiterlesen: Entscheidung des Landessozialgerichts NRW von 2010: L 20 SO 289/10 B ER

Konsekutive Master-Studiengänge: Anspruch auf Förderung bei engem zeitlichem Zusammenhang

Eingliederungshilfeleistungen zum Besuch einer Hochschule stehen regelmäßig für ein Master-Studium zur Verfügung, das inhaltlich auf den Bachelor-Studiengang aufbaut ("konsekutiver Master") und fachlich fortführt oder aber interdisziplinär ergänzt, auch ohne in die selbe Fachrichtung weiterzuführen. Es soll ein "zeitlicher Zusammenhang" mit der Erstausbildung bestehen. Dabei will man sich an den Altersvorgaben im BAföG orientieren. Die sozialrechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Weiterbildende Master-Studiengänge erfüllen diese Anforderungen i.d.R. nicht. Vom engen zeitlichen Zusammenhang kann abgesehen werden, wenn dafür behinderungsbedingte oder andere wichtige Gründe glaubhaft gemacht werden können.

Postgraduale Weiterqualifizierungen jenseits des konsekutiven Masters: in besonderen Einzelfällen möglich

Für postgraduale Weiterqualifizierungsmaßnahmen – wie Zweitstudium und Promotionsstudiengänge – stehen Eingliederungshilfen zum Besuch einer Hochschule nur in begründeten Einzelfällen zur Verfügung. Ein Promotionsstudium wird durch Hochschulhilfen nur dann unterstützt, wenn dieser Abschluss für das angestrebte Berufsziel erforderlich ist. Wer als Naturwissenschaftler*in z.B. in die Forschung gehen will, braucht i.d.R. den Doktortitel. Wenn Hochschulabsolvent*innen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses promovieren, stehen ihnen Arbeitsassistenz, technische und andere Hilfen unter Umständen im Rahmen anderer sozialrechtlicher Regelungen zu. Nach § 112 Abs. 1 Satz 4 SGB IX können Hochschulhilfen erneut erbracht werden - also z.B für ein Zweitstudium - wenn dies aus behinderungsbedingten Gründen erforderlich ist.

Die Förderung von weiterbildenden Masterstudiengängen ist nicht vorgesehen. Auch ein Wechsel von Studienphasen mit Berufs- und Weiterbildungsphasen, wie er in Zukunft die Biografie der meisten Akademiker*innen prägen wird, ist für behinderte Hochschulabsolvent*innen, die auf personelle und technische Unterstützungen angewiesen sind, zurzeit faktisch unmöglich.

Praktika, Fernstudium, Vorbereitungskurse

Sofern Praktika oder andere Vorbereitungsmaßnahmen für die Aufnahme von Studium oder die an das Studium anschließende Berufszulassung erforderlich sind, können auch dafür Assistenzen und Technische Hilfen über die Eingliederungshilfe beantragt werden.

Gesetzliche Regelungen

Die Unterstützungen zum Studium werden als Teilhabe zur Bildung nach § 112 SGB IX gewährt. Da die Eingliederungshilfe immer nachrangig ist, wird stets geprüft, ob nicht die Antragstellenden selbst oder Dritte vorrangig für die Leistungserbringung zuständig sind. Wessen Behinderungen z.B. Folgen eines Unfalls oder eines Impfschadens sind, erhält die Leistungen ggf. vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. dem Träger der Kriegsopferversorgung. Auch die Hochschulen müssen regelmäßig bekunden, dass sie keine individuellen Hilfen zur Verfügung stellen. Aktuell sehen Gerichte auch die Bundesagentur für Arbeit zunehmend in der Pflicht, Leistungen zum Studium zu erbringen. Erfolgreich abgeschlossene Studiengänge gelten als berufsqualifizierend.

Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS)

Tel.: +49 30 297727-64